Die Diskussion über Kompetenzen am Arbeitsplatz ist nichts Neues. Organisationen waren sich schon immer der Bedeutung von Qualifikationen bewusst, sei es während des Einstellungsprozesses oder in Schulungsinitiativen. Bestimmte Berufe, wie z. B. im Gesundheits- oder Rechtswesen, erfordern sogar die Zertifizierung bestimmter Fähigkeiten, bevor sie ausgeübt werden dürfen.

Was das heutige Skill Management jedoch unterscheidet, ist die KI-basierte Fähigkeit, eine ungleich größere Anzahl von Kompetenzen zu verwalten, als es ein Mensch je könnte. Und diese dank technologischer Fortschritte in das gesamte HR Management zu integrieren. Was so viel Aufmerksamkeit erregt, ist die dadurch gewonnene Fähigkeit, Lösungen gleich für eine ganze Reihe von akuten Herausforderungen zu finden.

“Was das heutige Skill Management jedoch unterscheidet, ist die KI-basierte Fähigkeit, eine ungleich größere Anzahl von Kompetenzen zu verwalten, als es ein Mensch je könnte. ”

Dr. Ralph Köppen

Die Verwendung von Qualifikationen als Determinante für das Design von HR-Praktiken führt schnell dazu, das vorherrschende Modell der Arbeitsorganisation in Frage zu stellen. Bislang war ein Job bzw. eine Rolle die grundlegende Komponente. Aber ist der Arbeitsplatz als Organisationsprinzip und Grundlage für Personalentscheidungen noch die beste Lösung? Er bietet keine Antworten auf Herausforderungen wie Agilität, die Verfügbarkeit der richtigen Talente sicherzustellen, die Stagnation der Produktivität, den Wunsch der Mitarbeiter nach individualisierten Entwicklungsmöglichkeiten, die Verkürzung der Halbwertszeit von Skills, die Schaffung von Chancengleichheit für alle und von mehr Innovation.

Die Einführung von Skill Management ist eine vielversprechende Lösung. Anstatt sich auf traditionelle Rollen mit ihren Jobtiteln und Verantwortlichkeiten als dominierenden Baustein für (Arbeits- und) Personalentscheidungen zu konzentrieren, stellt das Skill Management die spezifischen Fähigkeiten und Kompetenzen der Mitarbeiter als Grundlage für Managemententscheidungen in den Vordergrund. Dies verändert nicht nur Recruiting, Fortbildung und Karriereentwicklung, sondern auch, wie Unternehmen ihre IT-Systeme nutzen und ersetzt das aktuelle Organisationsprinzip der Belegschaft.

Was genau ist also Skill Management?

Im Kern geht es bei skill-basierten Praktiken um die spezifischen Fähigkeiten, Kenntnisse und Talente der Mitarbeiter und nicht um ihre Berufsbezeichnung, Ausbildung, Abschlüsse oder frühere Berufserfahrung. Auch wenn Fähigkeiten bei Personalentscheidungen immer eine Rolle gespielt haben, führt ihre neue Zentralität zu einer neuen Vorgehensweise.

Drei Beispiele:

Recruiting: Bei herkömmlichen Methoden verwenden Recruiter frühere Erfahrungen, Berufsbezeichnungen, Hierarchielevel oder entsprechende Nachweise eines Bewerbers für die Vorhersage künftiger Leistungen. Bei kompetenzbasierten Verfahren hingegen würde HR zunächst die zu erledigende Arbeit strukturieren ist (d. h. in Aufgaben, in Projekten, in Ergebnissen oder vielleicht immer noch in Form einer Stelle), dafür die erforderlichen Kompetenzen ermitteln und dann die Fähigkeiten der Personen durch geeignete Bewertungsverfahren testen und analysieren. Erst dann erfolgt eine Vorhersage, ob eine Person erfolgreich sein kann.

Karrierepfade: Traditionell lassen sich Karrieren als das Erklimmen einer Leiter beschreiben.  Man steigt in der Hierarchie stufenweise auf, indem man mehr Verantwortung übernimmt oder mehr Mitarbeiter führt. Betrachtet man die Karriereentwicklung aus der Perspektive des Skill Managements, so muss sie aufgrund der viel größeren Anzahl von zu berücksichtigenden Elementen mit einer Software gelöst werden. Diese ermöglicht die Ermittlung der Qualifikationslücken (Skill Gaps) im Unternehmen (vorhandene vs. zukünftige) sowie der vorhandenen und notwendigen Skills der Mitarbeiter, die Erstellung eines maßgeschneiderten Lernangebots, die Durchführung von Kompetenztests und den Abgleich der Ergebnisse mit verfügbaren Positionen/Projekten.

Performance Management: Die Bewertung von Performance basiert traditionell auf den Arbeitsergebnissen oder der Leistung im Vergleich zu den Zielen. Die Fähigkeiten einer Person selbst sind in der Regel nicht Teil von positiver Anerkennung … und es gibt auch wenig Grund, dies zu ändern. Unternehmen können jedoch die Entwicklung von Skills bei einer Person gut mit individuellen Leistungszielen in Einklang bringen. Führungskräfte können gemeinsam mit den Mitarbeitern Prioritäten für die Entwicklung bestimmter Skills festlegen und entsprechende Schulungen heraussuchen. Unternehmen können auch definieren, welche Skills erforderlich sind, um in eine andere Rolle zu gelangen (vordefinierte Karrierepfade), und dies transparent kommunizieren, so dass Manager und Mitarbeiter ein gemeinsames Verständnis haben. Sie können dann im Rahmen der Leistungsbeurteilung besprechen, inwieweit die Mitarbeiter die erforderlichen Fähigkeiten aufweisen.

Dies sind drei sehr unterschiedliche Beispiele, um zu zeigen, dass die Einführung von Skill Management sehr unterschiedliche Maßnahmen erfordern kann. Sie erfordert Veränderungen in der Arbeitsweise der Personalabteilung, sie erfordert Software, und sie erfordert die Beteiligung der gesamten Organisation – d. h. die Einbeziehung der Mitarbeiter.

Vorteile skill-basierter Verfahren

Verbesserte Performance der Belegschaft durch Nutzung aller ihrer Fähigkeiten, ihrem Einsatz an der wertvollsten Stelle und schnellerer Erfüllung neuer Qualifikationsanforderungen.

Besseres Recruiting (+ interne Personal-/Nachfolgeplanung) durch Verkürzung des Prozesses, Auffinden besser geeigneter Kandidaten für eine Qualifikationslücke, größeren Talentpool und Kostensenkung.

Höhere Diversität durch Entscheidungen auf Grundlage von Fähigkeiten und nicht von Stellenbeschreibungen.

Höhere organisatorische Flexibilität durch schnellere Reaktion auf veränderte Qualifikationsanforderungen und durch leichtere Abstimmung.

Höhere Resilienz durch Zugriff auf einen größeren Talentpool, einschließlich interner Talente mit übertragbaren Fähigkeiten.

Bessere Mitarbeiterbindung durch maßgeschneiderte Karriere- und Entwicklungspfade, die auf individuellen Fähigkeiten und Interessen basieren, sowie durch besseren Fit bei der Einstellung.

Effizienteres Learning & Development durch Ausrichtung auf spezifische Skills und Kompetenzen, die die Mitarbeiter für ihren Erfolg benötigen. Außerdem wird eine Kultur des kontinuierlichen Lernens gefördert.

Effektiveres Belohnungssystem, indem Anreize zum Erlernen bestimmter Fähigkeiten gegeben werden, dies transparent gemacht und mit nachvollziehbaren Beiträgen verknüpft wird.

Verbesserte Innovation durch die Zusammenstellung von Teams mit unterschiedlichen Fähigkeiten zur Lösung spezifischer Herausforderungen.

Bessere Ergebnisse und besser motivierte Teams gehen Hand in Hand mit den Herausforderungen, die mit der Einführung von skill-basierten Verfahren verbunden sind. Es wirkt sich auf alle Bereiche aus, vom Recruiting, dem Learning & Development und dem Performance Management bis hin zur Nachfolgeplanung und sogar auf grundlegende Instrumente wie Stellenbeschreibungen. All diese Prozesse basieren seit langem auf traditionellen Hierarchien und Job Descriptions und müssen möglicherweise angepasst oder komplett überarbeitet werden. Dies kann erst einmal entmutigend wirken.

Mögliche Änderungen in der Struktur von HR selbst

Anstatt getrennte Teams oder Funktionen für verschiedene HR-Bereiche wie Talentakquise, Fortbildung oder Performance Management zu haben, könnten HR-Abteilungen nach bestimmten Skills umstrukturiert werden. So könnte es beispielsweise ein Team geben, das für die Entwicklung und das Management digitaler Kompetenzen zuständig ist, ein Team mit Verantwortung für Führungs- und Managementkompetenzen, und ein Team mit Zuständigkeit für technische Kompetenzen.

Die Aufgaben der Personalabteilung könnten auch neu definiert werden, sodass der Schwerpunkt mehr auf Coaching und Beratung und weniger auf Verwaltung liegt. Dies könnte bedeuten, dass HR-Mitarbeiter enger mit Managern und der Belegschaft zusammenarbeiten, um Skills zu ermitteln und zu bewerten, maßgeschneiderte Entwicklungspläne zu entwerfen und Mitarbeiter mit den besten Möglichkeiten zusammenzubringen.

Die Personalabteilungen könnten auch einen agileren und flexibleren Ansatz verfolgen, z. B. mit projektbasierten oder Matrixstrukturen. Dies kann dazu beitragen, die Fähigkeiten und das Fachwissen von HR-Mitarbeitern besser auf die Bedürfnisse des Unternehmens abzustimmen und höhere Anpassungsfähigkeit zu erlangen.

Projekt- und Positionsbesetzungen können durch eine intelligente Skill-Engine vorbereitet werden, die die Qualifikationsanforderungen mit den vorhandenen (validierten) Mitarbeiterfähigkeiten abgleicht. Die Ergebnisse des Abgleichs können vom (Projekt-) Manager bewertet werden, um entsprechend qualifizierte Personen anzusprechen, oder die abgeglichenen Mitarbeiter können direkt zur Bewerbung aufgefordert werden.

Mögliche Beschränkungen, in bestimmten Branchen oder Unternehmensgrößen

In stark regulierten Branchen gibt es wahrscheinlich rechtliche und ethische Standards. So unterliegt die Finanzbranche beispielsweise dem Verbraucherschutzgesetz. Angehörige der Gesundheitsberufe benötigen eine spezielle Zulassung für ihre Tätigkeit. Unternehmen in regulierten Branchen müssen weiterhin sicherstellen, dass ihre Mitarbeiter diese Vorschriften einhalten.

In kleinen Unternehmen kann die Einführung von Skill Management eine größere Herausforderung darstellen, da nur begrenzte Ressourcen für neue Aufgaben wie Coaching oder die Gestaltung individueller Karrierepfade zur Verfügung stehen. Aber kleine Unternehmen können auch mehr davon profitieren, weil Änderungen schneller umzusetzen sind und weil sie mit größeren Unternehmen besser im Wettbewerb um Talente konkurrieren können.

Größere Unternehmen verfügen möglicherweise über mehr Ressourcen und Infrastruktur zur Unterstützung von Skill Management, sehen sich aber eventuell mit mehr Widerstand gegen Veränderungen seitens der Mitarbeiter konfrontiert, die ihre Karriere auf traditionellen Hierarchien aufgebaut haben. Oder seitens der Manager, die befürchten, ihre Entscheidungsbefugnis an einen KI-basierten Algorithmus zu verlieren. Widerstand kann auch von Gewerkschaften oder Arbeitnehmervertretungen kommen, da sie über die potenziellen Auswirkungen auf die Arbeitsplatzsicherheit, erreichte Gehaltsniveaus oder die Matching-Algorithmen besorgt sein könnten.

Mögliche Auswirkungen auf den Einsatz von HR-Software

Die Einführung von Skill Management wirkt sich auf die gesamte eingesetzte – und noch nicht eingesetzte – HR-Technologie aus. Viele allgemeine HRIS-Systeme sind rollenbasiert und machen die Umstellung nicht einfacher. Die Neugestaltung einzelner Prozesse muss sich aber in den einzelnen Softwareanwendungen widerspiegeln, die zu ihrer Unterstützung eingesetzt werden.

Der grundlegende Punkt ist jedoch, dass höchstwahrscheinlich eine neue Software erforderlich sein wird. Eine Software, die hilft Skills zu erkennen und zu bewerten, deren Entwicklung zu verfolgen, die Mitarbeiter in die Prozesse einzubeziehen und diese mit den richtigen Opportunities zusammenzubringen. Es gibt verschiedene Lösungen mit unterschiedlichen Schwerpunkten. So konzentriert sich eine auf die Bewertung von Skills, eine andere auf interne Talent-Marktplätze. Jede Organisation sollte im Vorfeld entscheiden, wo sie ihren eigenen Schwerpunkt setzen möchte, bevor sie sich für eine Lösung entscheidet.

Die COVID-19-Pandemie hat die Sinnhaftigkeit von Skill Management in mehrfacher Hinsicht erhöht. Erstens hat die Pandemie zu raschen Veränderungen im Geschäftsumfeld geführt, da sich Unternehmen und Arbeitnehmer (d.h. diejenigen, die ihren Arbeitsplatz verloren haben) an neue Herausforderungen und Möglichkeiten anpassen mussten. Dies führte zu einem größeren Bedarf an Agilität und Flexibilität in der Belegschaft, da Unternehmen ihr Personal schnell umstrukturieren können möchten. Skill-basierte Verfahren helfen Organisationen, besser auf Veränderungen zu reagieren. Zweitens hat die Pandemie zu einer örtlichen Verlagerung der Arbeit und zu virtueller Zusammenarbeit geführt, was die Bedeutung digitaler Fähigkeiten und Kompetenzen (der Mitarbeiter und ihrer Führungskräfte) erhöht. Unternehmen müssen sich auf die Entwicklung digitaler Fähigkeiten konzentrieren, um ihre Mitarbeiter besser auf die Herausforderungen einer immer stärker digitalisierten Zukunft vorzubereiten.

“Jedes Skill Management Projekt sollte mit dem gleichen Schritt beginnen: Entscheiden Sie, was Sie vorrangig erreichen möchten, und beginnen Sie von dort aus. Aber nicht ohne Prüfung aller skill-bezogenen Bedarfe und einer Strategie für die gesamte cross-funktionale Einführung.”

Dr. Ralph Köppen

Skill Management bietet gleichzeitig Lösungen für viele der wichtigsten Herausforderungen, denen sich Unternehmen heute stellen müssen. Die Vorteile überwiegen eindeutig den Aufwand bei der Einführung und große Unternehmen wie Unilever, Google und Ford machen es vor. Doch die Entscheidung über das Wie muss auf den spezifischen Bedürfnissen und Zielen eines jeden Unternehmens beruhen. Der erste Schritt ist daher immer die Ausarbeitung eines individuellen Plans. Was ist das Wichtigste, was Sie erreichen möchten, und was ist ein guter Ausgangspunkt, um Skill Management schrittweise einzuführen und auf dem Weg zu lernen?