Carve-Outs sind komplex und out-of-the-ordinary

Lassen Sie uns das Stigma, welches mit Beratungsunternehmen verbunden ist, füttern und diesen Artikel mit einer Analogie beginnen: Wenn man einen Kürbis schnitzt, ist Unordnung unvermeidlich. Und in der Tat lässt sich dies ebenso auf organisationale Carve-outs übertragen – denn auch dort sind eine Menge Unordnung, Unsicherheit und Komplexität im Spiel.

Doch bevor ich in die Details gehe, möchte ich zunächst den Rahmen dieses Artikels definieren. Zunächst werde ich ausschließlich auf Carve-outs in Großunternehmen und Konzernen eingehen. Dies liegt daran, dass Carve-outs in kleinen und mittelständischen Unternehmen wesentlich anders funktionieren und daher in einem separaten Artikel behandelt werden sollten (welcher bereits auf der To-do-Liste steht). Darüber hinaus werde ich mich auf jenes Carve-out-Szenario konzentrieren, bei welchem die veräußerten Geschäftsbereiche (im Folgenden: die Zielorganisation) rechtlich eigenständig werden [1]. In diesem (sehr interessanten, aber ebenso herausfordernden) Fall kann das gesamte Setup der HR-Abteilung der künftigen Organisation von Grund auf neu definiert werden. Ein Schlüsselelement dieses Setups ist die HR-IT-Landschaft. Doch was genau ist an der HR-IT-Landschaft im Rahmen von Carve-outs so komplex? Und wie sollte man mit ihr umgehen?

HR und IT mögen wie polare Gegensätze erscheinen. Erstere wird in der Regel als weich, menschlich (im wahrsten Sinne des Wortes) und manchmal nicht ganz greifbar bezeichnet, während letztere als hart, nicht lebendig und konkret gilt. In Zeiten der Digitalisierung sind HR und IT jedoch unzweifelhaft eng miteinander verbunden. Wie kann also die HR-IT-Landschaft angegangen werden, wenn das Ziel darin besteht, die Zielorganisation aus ihrem Mutterunternehmen herauszulösen?

[1] Zwei alternative Szenarien sind, dass das Zielunternehmen entweder an einen Investor verkauft oder mit einem anderen Unternehmen fusioniert wird.

Robot and Human

Drei Schritte zur Übertragung der HR-IT-Landschaft

Schritt 1: Den Ist-Zustand verstehen

Zunächst sollte man verstehen, wie die HR-IT-Landschaft derzeit (d.h. vor der Veräußerung) aussieht. Schon dieser erste Schritt kann schwierig sein, entweder weil konsolidierte Listen mangels regelmäßiger Pflege veraltet sind oder weil es gar keine Listen gibt, welche Auskunft über die in der Zielorganisation eingesetzten HR-Systeme geben. Um einen Einblick darin zu erhalten, welche Systeme eingesetzt werden und ob sie einen wertvollen Beitrag zur HR-Prozesskette leisten, sollte man eine Person konsultieren, welche in ihrem Tagesgeschäft eng mit der HR-IT verzahnt ist und sich folglich in diesem Bereich auskennt.

Schritt 2: Den Soll-Zustand bestimmen

Zweitens sei, nachdem sich ein Überblick über die HR-IT-Landschaft verschafft worden ist, für jedes HR-IT-System eine Strategie für die Zukunft festzulegen. Hierbei gibt es vier Optionen: (1) Move, (2) Exit, (3) Replace und (4) Copy. Diese Optionen beeinflussen maßgeblich, wie komplex die Übertragung der HR-IT-Landschaft ausfällt: (1) Move bedeutet, dass ein System von der neuen Organisation übernommen werden soll, da die Muttergesellschaft darauf verzichten kann. (2) Exit dagegen impliziert, dass die neue Organisation auf ihre Ansprüche zur Beibehaltung des Systems verzichtet. Dies gilt häufig für Anwendungen, welche keinen (oder nur einen geringfügigen) Mehrwert für die HR-Prozesskette darstellen. Soll ein System (3) ersetzt werden, muss sich die neue Organisation für einen gleichwertigen (oder sogar besser geeigneten) Ersatz entscheiden. Und das (4) Kopieren einer (in der Regel zentralen) Anwendung bedeutet, dass sie weiter genutzt wird – entweder durch Servicevereinbarungen mit dem Mutterunternehmen oder durch eine tatsächliche Systemkopie in der neuen Organisation. Im Hinblick auf die Komplexität des Transfers sind Replacement-Entscheidungen besonders knifflig, da sie (langwierige und unter Umständen mühsame) Ausschreibungsverfahren für neue Dienstleistungs- und Systemanbieter erfordern.

Schritt 3: Die Beschaffung kritischer, zu ersetzender Systeme initiieren

In einem dritten Schritt können die zu ersetzenden Systeme nach ihrer Kritikalität eingestuft werden. Diese Aufgabe dürfte (zur Abwechslung) nicht allzu schwierig sein: Wenn ein Gehaltsabrechnungssystem dabei ist, wird es mit Sicherheit an der Spitze jeder Prioritätenliste stehen. Sobald die Prioritäten festgelegt sind, sollte die neue Organisation wählen zwischen

(a) einer Auslagerung aller (oder einiger) mit dem System verbundenen Dienstleistungen sowie des Systems selbst an einen externen Anbieter,

(b) der Beschaffung eines neuen Systems, welches einem externen Anbieter gehört, aber von der Organisation betrieben wird, oder

(c) der Beschaffung eines neuen Systems, welches jedoch von der neuen Organisation selbst betrieben werden soll.

Unabhängig davon, welche Option gewählt wird, sind die damit verbundenen Prozesse typischerweise zeitaufwändig. Weder die Ausschreibungsverfahren noch die Auswahl eines geeigneten Anbieters werden zum Kinderspeil, und auch die Implementierung kann zusätzliche Herausforderungen mit sich bringen. Daher sollte die Devise lauten, so früh wie möglich zu beginnen.

Steps (002)

Weitere Elemente, die bei Carve-Outs zu berücksichtigen sind

Klingt komplex? Nun, die Übertragung der HR-IT-Landschaft ist nur eine von vielen Aktivitäten, welche den Erfolg eines Carve-outs bestimmen. Tatsächlich gibt es eine Auswahl weiterer Elemente des Carve-outs, welche durch Komplexität und Unklarheit gekennzeichnet sind:

Spezialfälle

Spätestens anhand von Spezialfällen, welche alle HR-Bereiche betreffen können, wird (unweigerlich) deutlich, wie vielschichtig HR wirklich ist:

  • Berücksichtigen Sie besondere Fälle von Arbeitnehmenden, z.B. Langzeitabwesenheit, Personen mit Arbeitserlaubnis oder Fälle von aufgeschobener Vergütung. Sollen die Verträge dieser Mitarbeitenden gesondert behandelt werden? Müssen bestehende Arbeitsgenehmigungen fortgeführt oder verlängert werden?
  • Wie sieht die aktuelle Vergütungs- und Benefits-Landschaft aus? Gibt es besondere Leistungsanforderungen (z.B. Kranken- und Sozialversicherungen, Bonuszahlungen, Sportprogramme)? Wie wichtig ist die Beibehaltung (oder sogar Verbesserung) der derzeitigen Benefits der Mitarbeitenden? Die Bandbreite der Kritikalität ist groß – wo das Wohlergehen mancher Familien von den Benefits der erwerbstätigen Familienmitglieder abhängt, könnten andere Mitarbeitende „lediglich“ den Verlust von Merchandise mit dem Logo des Mutterunternehmens beklagen.
  • Gibt es lokale Praktiken oder Anforderungen in Bezug auf Gehaltsabrechnung, Aus- und Weiterbildung, Geschäftsreisen usw.? Die Komplexität der entgeltgruppenspezifischen Zeiterfassung sei nicht zu unterschätzen…
  • Wie sehen die Beziehungen zum Betriebsrat und/oder zur Gewerkschaft aus? Gibt es (lokal bedingte) Informationspflichten? Gibt es laufende oder in Verhandlung befindliche Tarifverträge, welche kurz vor oder nach dem geplanten Stichtag (dem sogenannten Day-1, zu welchem die Zielorganisation nicht mehr Teil des Mutterunternehmens ist) relevant werden könnten?

Zuständigkeiten im Projekt-Setup

  • Wer kann und wer sollte in einer bestimmten Angelegenheit konsultiert werden? Und hat diese Person, welche über wertvolle Informationen verfügen könnte, eine Geheimhaltungsvereinbarung unterzeichnet?
  • Wem kann was mitgeteilt werden? Es kann sein, dass die betroffenen Mitarbeitenden über die Veräußerung und eine mögliche Verselbstständigung der Zielorganisation informiert werden, aber im Unklaren darüber gelassen werden sollten, ob potenzielle Käufer am Carve-out beteiligt sind.
  • Wer weiß was? Liefern alle Teilnehmenden des heutigen Meetings tatsächlich relevante Beiträge?

Timelines

Kein Datum ist in Stein gemeißelt und das gesamte Projekt ist ein Moving Target. Wenn Sie davon ausgehen, dass der Abschluss am Tag X erfolgen wird, kann dieser Tag im Verlauf der gesamten Projektdauer mehrfach verschoben werden.

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Was eine kompetente Führung in unsicheren Zeiten ausmacht

Ungeachtet aller Herausforderungen und Komplexitäten glauben wir fest daran, dass Carve-outs machbar sind. Daher haben wir eine Reihe ausgewählter Fähigkeiten zusammengestellt, über die ein Unternehmen verfügen sollte, um alle Arten von Carve-out-Projekten kompetent bewältigen zu können:

  • Zwischen verschiedenen Carve-Out-Szenarien (z.B. Verselbstständigung- vs. Merger-Fälle, Asset- vs. Share-Deals) unterscheiden können und wissen, welcher Spezialfall für welches Carve-Out-Szenario gilt bzw. besonders entscheidend ist.
  • Über das Wissen verfügen, wie man die HR-Services sowie die HR-IT-Landschaft eines Unternehmens systematisch unter die Lupe nimmt. Diese Analysen sind von entscheidender Bedeutung, um den Reifegrad der Selbstständigkeit einer Geschäftseinheit vor der Veräußerung zu beurteilen. Ist sie bereits weitgehend autark oder noch stark abhängig von den Dienstleistungen und Systemen der Muttergesellschaft? Wie tiefgreifend sind diese Verbindungen, und wie schwierig wird es folglich sein, sie zu kappen? Wenn jedes Detail aus Sicht der Personalabteilung erfasst ist, können Fallstricke während der Trennungsphase (so gut wie möglich) vermieden werden.
  • Wissen, wie man Prioritäten setzt: Was ist für Day-1 unerlässlich (HR-Funktionen, welche wir als „hygienisch“ bezeichnen) und was ist „nice-to-have“, kann aber später implementiert werden (HR-Funktionen, die wir als „value-add“ bezeichnen)? Wenn Unternehmen in die richtige Richtung gelenkt werden, kann ihnen der Prozess der Prioritätensetzung erleichtert werden.
  • Ist die „Tat“ nun jedoch vollbracht, sollte sich eine kompetente Führung dazu begeistern lassen, eine Organisation bei der einmaligen Gelegenheit zu unterstützen, ihre HR aus strategischer Perspektive neu zu überdenken: Welche Prozesse sind längst überholt und könnten durch modernere, agilere Lösungen ersetzt werden (z.B. durch den Wechsel von manueller zu webbasierter, von den Mitarbeitenden bedienter Zeit- und Anwesenheitsverwaltung)? Wie kann die neue Organisation eine attraktive Arbeitgebermarke entwickeln und sich auf dem Markt positionieren? Ein ehrgeiziger, zukunftsorientierter Ansatz im Bereich HR macht die Organisation fit für die Zukunft.
  • Last but not least (wohlbemerkt lässt sich diese Aufzählung nicht endlos fortsetzen) ist es essentiell, effektiv zu kommunizieren und die Interessen der verschiedenen Beteiligten (z.B. M&A, HR, Management) zu konsolidieren.

In Summe sind wir davon überzeugt, dass eine kompetente Führung in Zeiten der Ungewissheit ihr volles Potenzial entfalten sollte. Und wir sind uns dessen gewiss, dass Sie aufgrund der oben beschriebenen Odyssee, die ein Carve-out kennzeichnen kann, zustimmen.

Leader

Möchten Sie mehr über unseren Ansatz bei Carve-outs im Besonderen und M&A-Projekten im Allgemeinen erfahren? Dann finden Sie Details hier. Und wenn Sie uns direkt ansprechen möchten, so zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren – entweder über unser Kontaktformular oder über unseren Managing Partner Andreas Letto.

Wir freuen uns darauf, gemeinsam mit Ihnen das Thema HR zu vertiefen. Und wer weiß – vielleicht stellen wir es zu gegebener Zeit auch auf den Kopf.